Die Geschichte von Narzisstenkind

Mein Gespräch mit Narzisstenkind und ihre persönliche Geschichte und Erfahrungen

Meine Lieben, heute darf ich euch nicht nur meine neue Website zeigen, nein, ich darf euch endlich mein Interview mit Narzisstenkind präsentieren. Leider mit einer sehr langen Verspätung, aber ich freue mich um so mehr, das dies jetzt auch technisch funktioniert hat.Im Interview geht es um das dysfunktionale Familiensystem und wie eine Kindheit in solch einem aussieht. Danke an dich, für deine Offenheit und Zeit, liebes Narzisstenkind. 

Liebes Narzissten Kind, danke das du dir die Zeit nimmst und uns deine Geschichte etwas erzählst. Beginnen wir gleich mit der ersten großen Frage:

Wann hast du bewusst das erste Mal gemerkt oder wahrgenommen das du in einer dysfunktionalen Familie lebst oder in eine geboren wurdest?

Liebe Karin, vielen Dank einmal vorneweg für deine Arbeit und deinen “Mitmachaufruf”. 

Ich glaube ich habe das schon immer auf eine gewisse Art gewusst. Ich habe mich sehr lange in fast allen Peer Groups irgendwie fremd gefühlt, war immer irgendwie ein bisschen anders, hab immer ein wenig anders funktioniert als andere. Ich habe immer sehr deutlich wahrgenommen, dass Dinge für mich nicht möglich sind, die andere als ganz selbstverständlich betrachten und habe auch deutlich gespürt, dass das, was da schiefläuft, nicht an mir liegt.So richtig bewusst ist es mir dann während meiner ersten Beziehung geworden, als ich sehr liebevoll in die Familie meines ersten Freundes aufgenommen wurde und dann auch erlebt habe, wie sich Familie für andere Menschen anfühlen kann. Da habe ich mich zum ersten Mal auch (in einem sehr kleinen Rahmen, aber doch) versucht abzugrenzen, wollte nur raus. Als die Beziehung zerbrochen ist bin ich in meine vielleicht schlimmste Krise geschlittert, die ich bisher erlebt habe, weil ich die erste Sicherheit und Geborgenheit, die ich kennengelernt hatte, aufgeben musste und wieder zurück in meinen kalten, goldenen Käfig. 

Danach habe ich viele Jahre sehr viel Zeit, Energie und Gesundheit investiert, um diese Erkenntnis zu vergessen und mir ein Luftschloss zu bauen, das spätestens mit dem Terroranschlag in Wien völlig in sich zusammengestürzt ist. Begonnen hat es aber schon früher – durch Corona und Home Office von meinem Ex-Mann habe ich mir eingestehen müssen, dass ich in meiner Beziehung nicht weiterleben kann und beschlossen, mich zu trennen, auch weil ich jemanden kennengelernt habe, der mir nach sehr langer Zeit das Gefühl gegeben hat, wieder lebendig zu sein und mich nicht immer kleinmachen zu müssen. Als meine Eltern von meiner neuen Beziehung erfahren hatten, ging der ganz narzisstische Missbrauch wie in alten Zeiten wieder los. Als ich dann am 2. November 2020 in Wien mitten in den Terroranschlag geraten bin und tatsächlich nicht weit weg von akuter Lebensgefahr war, ist mir schlagartig bewusst geworden, dass ich das Gefühl “Todesangst” sehr gut kenne. Mein Vater hat mich am nächsten Tag gezwungen – noch total im Schock – arbeiten zu gehen (ich habe zu dem Zeitpunkt noch mit ihm zusammengearbeitet) und obwohl ich dem Schusswechsel wirklich nur haarscharf entkommen bin (150 m Luftlinie lagen zwischen mir und dem letzten Gefecht) hatte ich letzten Endes mehr Angst davor, ihm zu sagen dass ich zuhause bleiben möchte, als eine halbe Stunde zu Fuß durch Wien zu laufen, obwohl die Polizei noch keine Entwarnung gegeben und vehement zum Zuhause bleiben aufgerufen hatte.

Gab es einen Punkt, an dem dein Vertrauen in deine Eltern weniger wurde oder du dich distanziert hast?

Der Punkt kam klar nach der Reaktion auf die Beziehung zu meiner Freundin. Als in mir immer deutlicher wurde, dass ich mich von meinem Mann trennen möchte, habe ich mich an meine Eltern gewendet, weil wir auch finanziell in ein Immobilienprojekt verstrickt waren. Sie waren zu Beginn extrem verständnisvoll und unterstützend (im Nachhinein wohl, weil sie gehofft haben, mich wieder voll in ihre Triangulation integrieren zu können). Als sie aber erfahren haben, dass ich in einer neuen Beziehung war – noch dazu mit einer Frau – war die Unterstützung schnell vorbei. Sie haben mir mit meinem Zuhause gedroht (ich wohnte in einer Wohnung, die meiner Mutter gehörte), mein Vater hat mit meinem Leben gespielt (auf einer Dienstreise wie ein Wahnsinniger immer schneller und gefährlicher gefahren, bis ich ihm versprach den Kontakt abzubrechen) und sie haben mir das Haus, das ich eigentlich mit meinem Exmann gekauft hatte, weggenommen, weil ich es allein nicht finanzieren konnte. Am Ende war auch noch eine gewisse Bedrohung wegen meines Jobs in der Luft. 

Da meine Eltern all ihre Forderungen und all ihre Erwartungen immer daran gekettet hatten, dass Familie ja die einzigen Menschen wäre, die einen in einer Notsituation niemals finanziell im Stich lassen würden, haben sie damit quasi unsere Beziehungsbasis gesprengt und für mich jede Glaubwürdigkeit verloren und ich habe erkennt, dass eigentlich all unsere Beziehung immer nur auf Druck und Erpressung beruht hatte. Es hat dann noch ein Jahr gedauert bis ich alle Dinge geregelt hatte – meine Mutter hatte als ehemalige Bankangestellt Zugriff auf sämtliche meiner Finanzen, ich musste ausziehen und mir einen neuen Job suchen. Aber seit November sind diese Bande nun endlich durchgeschnitten. Bis heute schulden sie mir eine Menge Geld, das mein Opa mir für das Hausprojekt gegeben hatte und das sie sich einfach eingesteckt haben, als er noch gelebt hat.

Hattest du innerhalb der Familie oder Verwandtschaft eine Vertrauensperson?

Bis zu einem gewissen Grad meine Großeltern, obwohl meine Oma bereits 2006 gestorben ist. Sie gaben mir alles an emotionaler Wärme und Liebe, das von meiner Mutter nie kam. Kritik an meiner Mutter war allerdings Tabu. Mein Opa war ebenfalls eine wichtige Bezugsperson für mich, er hat soweit es möglich war viel mit mir unternommen – dass ich ihn diesen Sommer verloren habe, schmerzt immer noch sehr. 

Leider haben meine Großeltern in einem anderen Bundesland gewohnt und waren dadurch oft nicht greifbar, wenn ich sie dringend gebraucht habe, aber es war vermutlich der Anker für meine gesunden Persönlichkeitsanteile.

Seit mein Opa gestorben ist, ist da niemand mehr. Es gibt im Grunde nur mehr Familie von Seiten meines Vaters und dieser Zweig ist leider stark geprägt von co-narzisstischem Verhalten bzw. Flying Monkeys und – vorrangig eigentlich – Persönlichkeitsstörungen.

Du hast mir im Vorgespräch erzählt, dass du lange Zeit für deine Familie gearbeitet hast, quasi im Familienbetrieb. Was wurdest du anderen Betroffenen raten, die finanziell durch ihre Jobsituation, von der Familie abhängig sind?

Im Endeffekt glaube ich gibt es nur einen Rat: einen Weg aus der Abhängigkeit rausfinden. Ich glaube, dass Narzissten sehr oft Geld verwenden, um Druck auszuüben und existenzielle Ängste steigert dann die kindlichen Ängste vor dem Verlust der Liebe fast ins Unermessliche. Ich würde aber raten, nicht einfach den Hut draufzuhauen, sondern sich eine Strategie und einen Plan zu überlegen, wie man es angeht. Auch wenn es schwierig ist, in der Situation zu bleiben und es auszuhalten, damit man “gut” rauskommt und auch mit all den Emotionen, die darauffolgen, zurechtkommt, ist eine wohlüberlegte Entscheidung glaube ich wichtig.

Pauschal kann man es eh nicht sagen, aber meistens kennt man das Spiel der eigenen Narzissten ja ganz gut und das muss man sich manchmal auch zunutze machen. Ich habe dann überlegt, an welchem Ende ich zuerst schrauben kann und am schnellsten, wie ich es argumentieren kann, dass wir nicht in einen Konflikt geraten, solange ich der Situation nicht entfliehen kann – weil ich wusste, dass ich das nicht aushalten hätte können. Wie das Auflösen ausschaut, kommt halt immer auf die individuelle Situation an.

Bei mir war es so, dass ich zuerst meiner Mutter die Zeichnungsberechtigungen für mein Konto entzogen habe und ihr gesagt habe, dass ich sie damit entlasten möchte. Dann bin ich ausgezogen, mit der Begründung, dass ich nach meiner Trennung ein anderes Umfeld brauche. Und dann hatte ich Zeit, mir einen anderen Job zu suchen.

Ich habe lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass es in MEINER Familie und in MEINER speziellen Situation keinen gemeinsamen Weg geben kann. Es hat gedauert, bis ich bereit dazu war, auch gewisse Bequemlichkeiten aufzugeben und ich habe das definitiv auch nur durch die Unterstützung meiner Therapeutin geschafft. Sie hat mir bewusst gemacht, dass durch den Arbeitsplatz eine permanente Retraumatisierung stattfindet und ich ununterbrochen in einem Traumamodus bin und so nie heilen kann.

Das schwierigste ist dann manchmal, die Kommentare von außen auszuhalten. Menschen, mit denen man über seine Situation redet, unterstellen einem dann immer wieder, dass man Ausreden erfindet, warum man noch immer in der Situation bleibt, ohne zu sehen, wie viel Kraft und Mut einzelne, kleine Schritte kosten. Das macht finde ich viel mit dem Selbstbild, weil es ohnehin schwierig ist sich selbst zu vertrauen. Darum ist es wichtig, sich selbst auch immer gut zu reflektieren und zu schauen, wo man grade am Weg ist.

Wie würdest du die emotionale Abhängigkeit in Bezug auf die eigene Familie beschreiben?

Sie pfeifen, man springt. Egal was es kostet, egal wen es verletzt. Alle anderen müssen zurückstecken, die Herkunftsfamilie hat immer Vorrang, auch wenn man selbst etwas ganz Anderes möchte. Es gibt kein “Nein”, eigene Bedürfnisse haben keinen Platz und lösen Schuldgefühle aus und die Vorstellung, in Missgunst zu fallen, ist der schlimmste Horror, den man sich vorstellen kann. Das Leben ist ein ständiger Tanz zwischen Pulverfass und Vulkan, ein Jonglieren von allen Bedürfnissen anderer Menschen, wo man selbst grundsätzlich immer an letzter Stelle steht.

Was war der letzte und ausschlaggebende Punkt in deinem Leben, dass du dich komplett gelöst hast?

Das waren mehrere Schritte… ich hatte noch einmal wirklich versucht, meiner Mutter zu erklären, wie die Situation mit meinem Vater ist – nach 2 Wochen hat sie nur mehr gesagt “du musst dir ein dickeres Fell zulegen.” (Das war nach der Autofahrt, als er uns beide in Lebensgefahr gebracht hat und nach seinem Verhalten nach dem Terroranschlag.) Als sie mir tatsächlich Geld vorenthalten haben, das mein Opa mir gegeben hat. Als mein Opa gestorben ist und meine Mutter nicht zur Beerdigung gekommen ist, weil es ihr ja so schlecht ging und sie meinen Vater (seinen Schwiegersohn, der ihn nicht mal mochte) geschickt hat, der die Beerdigung nur als Show für meine Mutter genutzt hat und allen erklärt hat, dass sie in so schlechtem Zustand ist. Und ja, als ich gekündigt habe und endlich nicht mehr gezwungen werden konnte verfügbar zu sein.

Aber ob ich mich komplett gelöst habe? Das glaube ich nicht. Worte von meiner Mutter triggern mich. Ihr Name auf dem Handydisplay triggert mich. Es ist alles sehr fragil. 

Die letzte Frage an dich liebes Narzissten Kind, wie geht es dir jetzt? Wie haben sich deine Gefühle verändert? 

Puh, das ist die schwierigste Frage, die mich immer vor große Fragezeichen stellt. Wie geht es mir. Ich bin erleichtert, dass ich aus der existenziellen Abhängigkeit draußen bin. Dass sie mir nicht mehr mit meinen Lebensgrundlagen drohen können oder auf mein Geld zugreifen. Aber ich bin gerade mittendrin in einem seltsamen Trauerprozess. Meine Eltern leben noch, aber meine Familie ist (für mich) gestorben. Nach außen hin ist aber nichts passiert, man kann nicht offen trauern, man stößt auf viel Unverständnis, was wiederum wehtut.

Immer wieder lande ich in Gedankenspiralen aus Schuldgefühlen und Selbstzweifeln und muss mir meine Geschichte wieder und wieder erzählen, um mir selbst zu glauben. Ich habe viele ungesunde Muster, vieles ist schwieriger für mich als für andere, dennoch bin ich eine “high functional personality” – zum Glück. Man merkt mir meine Geschichte nicht an – was oft gut ist, aber manchmal auch weh tut, weil kaum jemand sieht, was hinter der Fassade alles zerbrochen ist. 

Die Rolle in meiner toxischen Familie war sehr identitätsstiftend. Ich habe jetzt die Aufgabe, mich selbst neu zu finden, neu zu definieren. Ich trage viel Misstrauen mit mir herum, es fällt mir unbeschreiblich schwer, Grenzen zu setzen. Ich bin emotional wahnsinnig ausgelaugt und ich bin enttäuscht, verletzt, traurig. Ich wünsche es mir anders. Es kommt Weihnachten, da ist es besonders schwer. 

Aber es ist wie es ist. Ich glaube, ich habe einen ziemlich unzerstörbaren Lebenswillen und eine seltsam verquere Überzeugung, dass sich das Kämpfen lohnt. 

Danke das du dir die Zeit genommen hast. Ich freue mich sehr und bin sicher das deine Worte für viele eine große Hilfe sind.

Alles Liebe für dich